Wenn du hier weiterliest, bist du vielleicht selbst betroffen. Du trägst einen schweren Rucksack mit dir herum, gefüllt mit schlimmen Erfahrungen. Sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, plötzliche Verluste, Gewalt unter der Geburt, Schläge, oder auch Demütigung und Mobbing. Im schlimmsten Fall sogar alles davon, manchmal auch durch Angehörige, die eigentlich für dich da sein sollten. Auch wenn Menschen zu Empathie und Liebe fähig sind, wiegt es schwer, was sie einander antun können. Gewalt hat viele Gesichter und zeigt sich in allen Gesellschaftsschichten. Wenn deine Grenzen in der Vergangenheit und vielleicht auch im Jetzt nicht respektiert werden und wurden und du der Willkür eines Täters ausgesetzt bist oder warst, fühlst du dich vielleicht hilflos und allein. Möglicherweise empfindest du auch Scham, weil nach wie vor ein Tabu da ist, wo keines sein sollte.
Ich spreche zu dir nicht nur als Therapeutin, sondern als Mensch, der das auch erlebt hat: Du bist nicht schuld. Du musst dich nicht schämen. Und du bist auch nicht allein. In meinem eigenen Elternhaus war Gewalt an der Tagesordnung und ich habe mehrmals in meinem Leben sexuelle Gewalt erlebt. Mit meiner Vergangenheit gehe ich offen um: In meiner Praxis, hier, wenn ich darüber schreibe, oder auch im Zwischenmenschlichen. Warum ich das tue? Es ist wichtig, darüber zu sprechen und das Erlebte nicht zu verdrängen. Wenn du jemandem von deinem Trauma erzählen möchtest, kann ich dir in meiner Praxis einen sicheren Rahmen versprechen. Solange du mir davon erzählst, unterbreche ich dich nicht, werte nicht und spreche dir nichts Erlebtes ab, sei es ein Ereignis oder ein Gefühl.
Ich bin davon überzeugt, dass du, wenn du über dein Trauma sprichst und mit der Aufarbeitung beginnst, den ersten und wichtigsten Schritt aus der Opferrolle heraus machst. Ganz wichtig: Es geht nicht um Schuld, sondern um Verantwortung! Dass du überhaupt in dieser Situation bist, hast du dir nicht ausgesucht. Aber du kannst aktiv erkennen, was diese Erfahrung mit dir gemacht hat und wo die Wurzel der Gewalt in deinem Umfeld liegt. Denn leider erstreckt sich gerade Gewalt in Familien oft über Generationen hinweg. Auch die meisten Täter waren selbst einmal Opfer: Aus der eigenen Verdrängung, der eigenen Machtlosigkeit entsteht bei manchen der Drang, selbst anderen wehzutun. Das entschuldigt keine Gewalt – aber zumindest erklärt es ihren Ursprung.
Doch es steht immer in deiner Macht, dem Grauen ein Ende zu setzen. Du kannst Verantwortung für dich selbst übernehmen und deine eigenen Beziehungen gesund, konstruktiv und friedlich gestalten. Gehe von der Hilflosigkeit und der Kränkung in die Selbstwirksamkeit und reiche anderen Menschen mit einer ähnlichen Geschichte die Hand, damit ihr gemeinsam wachsen könnt. Jeder Mensch, der Gewaltstrukturen erkennt und daraus bewusst aussteigt, macht die Welt zu einem besseren Ort, an dem wir in Frieden leben können.
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